Strategien und Prioritäten der EU in Bezug auf Syrien

Am 3. April 2017 hat in Luxemburg der EU Außenministerrat getagt und im Anschluss ein Papier zu seiner zukünftigen Syrienstrategie verabschiedet. In diesem macht die EU zunächst deutlich, dass sie die syrische Regierung und ihre Verbündeten, allen voran Russland, in der Verantwortung sieht, die syrische Bevölkerung zu schützen, der Gewalt ein Ende zu setzen und Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Verurteilt werden zudem in erfreulicher Klarheit die anhaltenden Verletzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in Syrien, insbesondere durch das syrische Regime. Aufgrund dieser Verbrechen kündigt die EU die Erwägung weiterer Restriktionen gegen Syrien an und erklärt, aus Sicht der EU könne es unter dem jetzigen Regime keinen langfristigen Frieden in Syrien geben (Zitat: „there can be no lasting peace in Syria under the current regime”, Council of the EU: press release; 03/04/2017).

Diese letzte Aussage wird verschieden interpretiert. Während ein Großteil darin eine klare Befürwortung des Rücktritts Assads und einen Widerspruch zur Positionierung der US-Verwaltung sieht, beziehen sich andere auf gemäßigtere Aussagen einzelner Außenminister, die einen Rücktritt Assads – wenn überhaupt – erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt erwarten und für sinnvoll halten. Sie begründen diese Einschätzung damit, dass letztendlich das syrische Volk über die Zukunft Assads entscheiden solle. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel etwa erklärte, auch wenn Assads Verbrechen in der Zukunft nicht ungeahndet bleiben dürfen, sei es nicht sinnvoll, „die Frage des Verbleibs von Assad am Anfang lösen zu wollen, weil das nur dazu führt, dass sich alles verhakt“ (Zitat: dpa). Andere Teilnehmer des Treffens äußerten sich entschiedener: Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault erklärte, er könne sich nicht einen Moment vorstellen, dass Assad Syrien führen werde, da er verantwortlich sei „für mehr als 300.000 Tote, die Gefangenen, die Gefolterten, ein zerstörtes Land“ (Zitat: afp), und blieb damit, wie viele andere EU-Außenminister, seiner bisherigen Linie treu.

Die Priorität des Papiers liegt allerdings nicht auf dem Sturz Assads, sondern auf den Bedürfnissen der syrischen Zivilbevölkerung und der Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konflikts. In diesem Zusammenhang lässt die EU keinen Zweifel daran, dass sie die Verhandlungsprozesse in Genf unterstützt, obgleich die UN in letzter Zeit häufig für ihr schleppendes Vorankommen in der Kritik standen. Ziel aller beteiligten Akteure muss nach Auffassung des Papiers die Transition Syriens sein. Die EU hebt hier besonders die Rolle des HNCs hervor und kündigt die weitere Unterstützung desselben bei der Entwicklung einer Vision für die Transition Syriens an. Positiv erwähnt wird die jüngst angestrebte und in Teilen umgesetzte Inklusion zivilgesellschaftlicher Organisationen. Kritisch ist hier aus Sicht des KNR jedoch hervorzuheben, dass große Teile der arabischen Opposition im HNC bislang die Notwendigkeit der Thematisierung der kurdischen Frage ablehnen, diesbezüglich also gerade nicht inklusiv denken und handeln. Aus diesem Grund hat der Kurdische Nationalrat zum Ende der letzten Verhandlungsrunde in Genf seine Teilnahme an den Gesprächen temporär ausgesetzt.

Das Strategie Papier betont darüber hinaus, dass die EU, anders als in früheren Fällen, auf die Situation nach Kriegsende vorbereitet sein will. Daher gelte es schon jetzt, u. a. die Rolle ziviler Organisationen und Strukturen zu stärken, die Nachbarstaaten, die in enormer Zahl Geflüchtete beherbergen, zu unterstützen, sich für Rede- und Pressefreiheit einzusetzen und die Ahndung von Kriegsverbrechen vorzubereiten. Eine Neubetrachtung der gegenüber Syrien verhängten Restriktionen sowie der Wiederaufbau Syriens sollen allerdings erst dann beginnen, wenn eine politische Neuordnung erkennbar ist und die Konfliktparteien zu einer Einigung gemäß der Vorgaben von UN-Resolution 2254 gelangt sind. Mit Blick auf die bevorstehende Geberkonferenz in Brüssel wird auch darauf verwiesen, dass diejenigen Länder, die den Syrienkonflikt befördert haben, in besonderer Weise in der Verantwortung stehen, den Wiederaufbau zu finanzieren.

Capacity Building: Kurdischer Nationalrat in Syrien
Berlin, April 2017