Kommentar zur Abschlusserklärung der Syrischen Opposition in Riad

Im September 2016 hat das Hohe Verhandlungskomitee (HNC) der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte ein Dokument, den sogenannten „Exekutiven Rahmen für eine politische Lösung“, veröffentlicht, in dem seine Vorstellungen bezüglich eines zukünftigen syrischen Staates darlegt wurden. Aufgrund verschiedener Aspekte konnten sich die Mitglieder des Kurdischen Nationalrates in Syrien (KNR), ebenso wie Vertreter und Vertreterinnen anderer ethnischer, religiöser und sprachlicher Gruppen in Syrien, nicht mit diesen Standpunkten der Opposition identifizieren. So wurden in dem vom HNC veröffentlichten Dokument Arabisch als einzige offizielle Sprache Syriens genannt und die arabisch-islamische Kultur als Grundlage der intellektuellen Entwicklung des Landes. Dementsprechend wurden die kulturellen, religiösen wie sprachlichen Hintergründe der kurdischen, jezidischen, assyrischen, turkmenischen, druzischen und vieler weiterer Komponenten der syrischen Gesellschaft missachtet. Als Mitglieder der syrischen Opposition forderte der Kurdische Nationalrat gemeinsam mit weiteren Gruppen eine konstitutionelle Anerkennung der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt Syriens.

In der nun veröffentlichten Abschlusserklärung der zweiten Konferenz in Riad vom 22. – 23. November 2017 findet sich ein deutliches Bekenntnis zur Multiethnizität Syriens. Syrien wir dort bezeichnet als „multiethnisches und multikulturelles Land,  dessen Verfassung die nationalen Rechte aller Bevölkerungsteile gewährleisten muss, die der Araber ebenso wie die von Kurden, Turkmenen, Aramäern, Assyrern und anderen, einschließlich ihrer Kultur und ihrer Sprachen, die als nationale Sprachen und Kulturen gelten und die für die Geschichte und Zivilisation Syriens stehen.“ Aus Sicht des Kurdischen Nationalrates ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus weist das Dokument explizit auf die kurdische Frage als ein gesamtstaatliches Anliegen hin und stellt die Forderung, endlich denjenigen die syrische Staatsbürgerschaft zurück zu erkennen, welchen sie durch das Baath-Regime unrechtmäßig aberkannt wurde.

Eine weitere Kritik des KNR am Dokument der Opposition von September 2016 bezog sich darauf, dass Syrien nach dem Prinzip der Mehrheitsdemokratie regiert werden soll. Eine Demokratie, welche ausschließlich auf dem Mehrheitsentscheid basiert, im Falle Syriens der arabisch-sunnitische Mehrheit, schließt zwangsläufig die Interessen und Bedürfnisse der Minderheiten aus und kann somit zu keiner Befriedung des Landes führen. Der Verzicht auf die Festlegung der Mehrheitsdemokratie in der Riad Abschlusserklärung ist somit nicht nur im Sinne der Kurd*innen und aller zahlenmäßig kleineren Komponenten des Landes, sondern auch Voraussetzung für eine friedliche Zukunft Syriens.

Trotz dieser positiven Schritte bleiben einige inhaltliche Kritikpunkte bestehen, welche der Kurdische Nationalrat bereits gegenüber dem „Exekutiven Rahmen für eine politische Lösung“ geäußert hatte. Seit langer Zeit, tritt der Kurdische Nationalrat für den Aufbau eines föderalen Systems in Syrien ein. Das heißt, er fordert insbesondere die Dezentralisierung politischer Entscheidungskompetenzen. Eine rein „administrative Dezentralisierung“ des Landes, wie es im Abschnitt sechs der zweiten Riad Erklärung heißt, wäre eine Fortführung des Status Quo. Dies würde bedeuten, dass Syrien auch weiterhin, wie unter Herrschaft des Baath-Regimes, zentral aus Damaskus regiert würde, während die regionale Ebene keine politische Entscheidungsmacht erhält. Um langfristig ein auf Vertrauen basierendes Regierungssystem aufzubauen ist es jedoch unerlässlich, eine dauerhafte Machtkonzentration zu verhindern. Nur eine konstitutionelle Aufteilung von Macht und Kompetenzen zwischen dem Zentralstaat und den Regionen ermöglicht eine tatsächliche Teilhabe und interne Selbstbestimmung der ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen. Um eine Identifikation der einzelnen Gruppen mit dem Staat Syriens zu ermöglichen und somit die territoriale Integrität des Landes sicherzustellen, ist ein Zuspruch dieser Rechte unabdingbar.

Da die Umsetzung föderaler Strukturen in einem Nachkriegssyrien eine essentielle Forderung des Kurdischen Nationalrates darstellt, ist es begrüßenswert, dass das Abschlussdokument der zweiten Riad Konferenz Verhandlungen über einen künftigen Staatsaufbau ohne Vorbedingungen zulassen möchte. Das Europäische Zentrum für Kurdische Studien organisierte mehrere Dialogworkshops, in welchen die Mitglieder des Kurdischen Nationalrats, gemeinsam mit Vertreter*innen anderer ethnischer, religiöser und sprachlicher Gruppen wie den Jeziden, Assyrern, Turkmenen und Druzen, an den Eckpunkten einer syrischen Verfassung arbeiteten. Aus Sicht der Teilnehmenden können die erarbeiteten 31 Punkte die Grundlage für eine Diskussion über einen zukünftigen syrischen Föderalstaat bilden, welcher die demokratische Beteiligung aller Komponenten der syrischen Gesellschaft sicherstellt.                                                                                      

Die Abschlusserklärung der zweiten Konferenz in Riad wurde vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien vom Arabischen ins Deutsche und Englische übersetzt und ist im Artikel Schlusserklärung der erweiterten Konferenz der syrischen Kräfte der Revolution und Opposition zu finden. Die 31 Punkte des Istanbul Paper III finden Sie im Artikel Istanbul Paper III – Eckpunkte einer syrischen Verfassung.